2
Jul
2013

...und nein, ich habe es mir nicht ausgesucht.

Ich will mal über ein unangenehmes Thema schreiben. Laut aktuellen Statistiken(1) betrifft es 5,4% aller erwerbstätigen Deutschen, das sind nach Adam Riese knapp 2.300.000,53 Menschen, wobei ich mich frage, ob die Nachkommazahl lediglich eine Teilzeitstelle oder tatsächlich einen halben Menschen meint. Verraten, worum es geht, habe ich jetzt auch schon fast, es geht um Arbeitslosigkeit.

Alles, was ich hier schreibe, ist vollkommen subjektiv und sehr gefühlsbasiert. Abgesehen von den Zahlen da oben. Einer von denen bin ich. Und nein, ich habe es mir nicht ausgesucht. Das ist das, was mich am meisten stört. In meiner Wahrnehmung der öffentlichen Wahrnehmung sind Arbeitslose entweder vom Schicksal verfolgte, betriebsbedingt Gekündigte, oder faule Schmarotzer, die noch nie in ihrem Leben einen Handschlag getan haben, und das auch nicht planen.

Nun, ich bin eigentlich keins von beidem, aber es kommt mir so vor, als würde ich trotzdem oder gerade deswegen eher in die zweite Kategorie eingeordnet. Ich bin offiziell seit dem 1. April 2013 arbeitslos. Vorher war ich etwas über einen Monat lang freigestellt, habe mein Gehalt noch gekriegt, also seit Ende Februar außer Bewerbungen schreiben kaum was zu tun gehabt, möchte man meinen. Falsch. Ich habe mir mein Hartz 4 als Pizzafahrer aufgebessert, und das ist ein Fulltime-Job. Für 5,50 die Stunde. Herzlichen Glückwunsch, lieber Uni-Absolvent, willkommen in der freien Wirtschaft.

Und ich will mich nicht hauptsächlich über Institutionen oder Arbeitgeber beschweren, die mich abgelehnt haben, denn a) macht das Jobcenter Harburg einen traumhaften Job, zumindest im Vergleich zu den Kollegen in Leipzig, die ich auch schon kennenlernen durfte, und b) liegt das zweite wohl eher daran, dass ich mich für den falschen Job beworben habe, oder meine Bewerbung nicht aussagekräftig genug war, als an der Unfähigkeit der Personaler, mein Talent und meine Eignung zu erkennen. Wobei es dafür auch Gegenbeispiele gibt, ich erinnere mich an einen Artikel, in dem Personaler erzählten, dass sie sich doch mit den eingestellten Personen überhaupt nicht beschäftigen müssen, das Problem hätten ja andere Leute(2).

Nein, was mich wirklich nervt, ist das soziale Stigma, das mit der Arbeitslosigkeit einhergeht. Nicht zuletzt dank der Tatsache, dass auf Partys häufig der zweite oder dritte Satz jeder Unterhaltung "Und, was machst du so?" ist, komme ich ins Schwanken. Früher war's halt "Ich studiere Amerikanistik und Skandinavistik. Nein, nicht auf Lehramt." Und während man sich dann häufig noch mit der Nachfrage "Was willst du denn damit werden?" herumschlagen musste - an dieser Stelle konnte ich meistens beruhigtes und anerkennendes Kopfnicken mit meiner Antwort: "Journalist!" ernten, sieht es doch jetzt ganz anders aus. Egal, was ich antworte, ich versuche krampfhaft, das Wort "arbeitslos" zu vermeiden. "Ich jobbe zur Zeit beim Pizzaservice und schreibe Bewerbungen." "Ich bin Praktikant bei Alsterradio (gewesen), und jetzt schaue ich mich gerade nach etwas neuem um."


Warum? Weil es mir teilweise peinlich ist, arbeitslos zu sein. Weil ich mich nicht wie ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft fühle. Weil ich mich nicht angesehen fühle. Merkwürdig. Will ich so sehr "etwas sein", nur um einfach nicht nichts zu sein? Krank.

An dieser Stelle also mein Abschlussplädoyer: Nein, ich bin nicht stolz darauf, arbeitslos zu sein. "Arbeitslos und Spaß dabei" existiert in meinen Augen nur als Floskel. Denn es ist traurig. Es bedrückt mich jeden Tag, dass ich keinen Job habe, denn ich weiß von meinen Berufserfahrungen und Praktika, dass fast jeder Mensch etwas zu tun braucht. Zumindest ich. Klar, manche Leute können super damit leben, Hartz 4 zu bekommen und den ganzen Tag World of Warcraft zu zocken, und auch ich habe im ersten Moment, nachdem ich die Enttäuschung über den Jobverlust verarbeitet habe, erst mal tief durchgeatmet und dann ein wenig angefangen zu lächeln, aber: Ich habe mir das hier nicht ausgesucht. Ich will einen Job. Ich will arbeiten, ich will meine Talente nicht brachliegen lassen und hier herumvegetieren. Ich will, dass diese Horrorstory ein gutes Ende hat. Deswegen schreibe ich Bewerbungen, manchmal halbherzig, weil es eben in meinem angestrebten Berufsfeld liegt, manchmal voller Enthusiasmus, weil das einer der Traumjobs ist, die ich auf meiner imaginären Traumjob-Liste herumspuken habe, und manchmal zurückhaltend, weil ich nicht weiß, ob ich überhaupt der Richtige für diesen Job bin.

Aber ich schreibe sie nicht als Alibi. Denn ich will einen Job. Und ich werde einen bekommen, der zu mir passt. Es ist nur eine Frage der Zeit. Bis dahin noch viel Spaß auf dem Arbeitsmarkt. Und bitte hab noch etwas Geduld, Mama.

(1) https://www.google.de/publicdata/explore?ds=z8o7pt6rd5uqa6_&met_y=unemployment_rate&idim=country:de&fdim_y=seasonality:sa&dl=de&hl=de&q=arbeitslosenquote%20deutschland#!ctype=l&strail=false&bcs=d&nselm=h&met_y=unemployment_rate&fdim_y=seasonality:sa&scale_y=lin&ind_y=false&rdim=country_group&idim=country:de&ifdim=country_group&hl=de&dl=de&ind=false
(2) http://www.spiegel.de/karriere/berufsstart/bewerbungen-mannschaftssport-verraet-nichts-ueber-teamfaehigkeit-a-851267.html
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Semtext's Selbstdarstellung

Raps und Reflektionen, Gedanken und Spinnereien...

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Was nicht wert ist, gesagt zu werden, das singt man. (Pierre Augustin Baron de Beaumarchais, frz. Bühnenschriftsteller, 1732-1799)

Das hier ist schlicht, was die Überschrift sagt. Eine Selbstdarstellung. Manche würden sagen öffentliches Tagebuch im lockeren Wochenrythmus, andere wiederum Textsammlung. Mittlerweile auch Rezeptsammlung für Cocktails. Wasauchimmer.

Es ist und bleibt die Selbstdarstellung eines Hobby-Rappers, Poetry Slammers und freiberuflichen Journalisten aus Oldenburg, der von ganz mittig nach ganz oben will. Mit explosiven Texten, die wie Bomben in den Frieden fetzen. Hatte ich mal gedacht. Deswegen der Name Semtext. Wer's nicht kapiert, bitte einfach mal "Semtex" bei Wikipedia oder im Brockhaus nachschlagen.
Man kann von mir mittlerweile auch Texte korrekturlesen lassen.

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